Freitag, 29. Juli 2016

Die Neue

Sollte sie es sein? Demütig schaute sie auf dem Weg zu seinem Schreibtisch nach unten. Ihre blonden Haare hielt ein schmaler Haarreif aus pinkem Plastik. Dieses Pink wiederholte sich in ihrem Blazer und vor allem in ihren Pumps. Er fragte sich, ob ihre Zeigezehen, also die unmittelbaren Nachbarn der grossen Zehen, länger wären. Schnell schaute er wieder nach oben. Ihre schmalen Hände griffen die Lehne des Besucherstuhls, aber sie wartete.
"Nehmen Sie nur Platz. Sie sind die Frau Dr. Kovacs?"
"Genau"
Als sie sich setzte, gab ihr geöffneter Blazer den Blick auf ihre, von einer weissen Bluse bedeckten, Brust frei. Kurz konnte er die Bügel eines BHs erkennen.
Während ihr süßes Stimmchen die üblichen Fragen beantwortet, rätselte er zunächst über die Form und, vor allem, der Anordnung ihrer Brüste. Würden sie ohne die starken Bügel herunterhängen? Waren sie durch einen kleinen, aber deutlichen Zwischenraum von einander getrennt?
Einen Augenkontakt konnte sie nicht lange stand halten. Schnell senkte senkte sie ihre Augen und schaute auf ihre zierlichen Hände. Er folgte ihrem Blick und bemerkte keinen einzigen Ring. Lächelnd wandten sich seine Augen ihrem hoch geschlossenen Ausschnitt zu. Sollte er wirklich einfach mal fragen?
"Wir sind hier nicht so zugeknöpft, wie Sie vielleicht denken, Frau ... äh ... Kovacs" entfuhr ihm.
"Ach so, ja" und ihre Hände machten sich sofort an den oberen Knöpfen zu schaffen.
Er lehnte sich zurück und ihre Blicke trafen sich. Diesmal schauten sie sich länger in die Augen. Als sie ihre Bluse auseinander klappte, öffnete sich die Tür.
Eine dunkles Gesicht mit einer blauen Baseballmütze schaute hinein.
"Oh, Entschuldigung. Ich dachte .."
"Sie sehen doch! Und warum ..." da war die Tür schon wieder geschlossen.
"Unsere Zeit ist wohl um. Vielen Dank für Ihre Mühe und wir melden uns dann." Er stand mit seinem Besuch auf, schüttelte ihre Hand und sah ihr hinterher bis sie die Tür aufmachte. Als sie sich bei geöffneter Tür kurz umblickte, nickte er ihr erfreut zu.
"Schicken Sie den Nächsten schon herein" forderte er sie auf.



Unter blauen Baseballmütze befand sich ein braunes Gesicht mit langen, gekräuselten Haaren. Sie waren schwarz und gehörten zu einem nur formal weiblichen Wesen. Sie hatte eine leicht angedeutete Oberweite und natürlich keinen Adamsapfel. Ein junger Mann ohne Bartwuchs hätte auch ihre Rollbrettfahrerkleidung samt Mütze tragen können. Ihr Auftreten war das Gegenteil von schüchtern. Anstatt auf seine Fragen die üblichen Antworten zu geben, schwärmte sie von den Forschungsansätzen, die sie in der ausgeschriebenen Position untersuchen wollte.
Ihr Mund erschien ihm im Lauf ihrer Ausführungen fraulicher. Die Lippen waren sorgfältig mit dunkelrotem Lippenstift gezogen. Das Weiß ihrer Zähne kam dadurch zur Geltung. Überhaupt gefiel ihm ihr Gesicht. Wer hätte auch gedacht, dass der Rest so gar nicht dazu passte.
"Was sagen Sie dazu?" fragte sie unvermittelt.
"Äh. Nun? Können Sie ihre Gedanken nicht einfach aufmalen. Hier auf der Schreibtischunterlage! Ein Bild sagt doch immer mehr als tausend Worte"
Schnell fegte er die Unterlage frei und tatsächlich fing sie an. Mit flinker Hand zeichnete sie Reaktoren, Leitungen und chemische Formeln. Anscheinend trug sie diese Idee schon lange mit sich herum. Ihm war sofort die Bedeutung der Zeichnung klar. Das musste einfach realisiert werden.
Nur? Sollte er deswegen auf eine richtige Frau als Assistentin verzichten. Eine mit einem fraulichen Körper und, vor allem, eben solchen Benehmen hatte er sich gewünscht. Solch einen Wildfang müsste er doch erst zähmen.
"Verstanden?" fragte sie ihn doch tatsächlich.
Seine Arme verschränkten sich mit der Bewegung seines Oberkörpers nach hinten. Mit zusammmen gezogenen Augenbrauen entgegnete er "Was denn sonst. Da werde ich schon drüber nachdenken. Ich glaube wir haben dann Schluss. Wir werden uns dann melden."
Auch sie kniff die Augenbrauen zusammen.
"Habe ich wieder zu ... Ach ... Ich bin einfach zu frech, aber so bin ich doch halt."
Ihr Lächeln musste er einfach erwidern.
Als die Tür geschlossen war, nahm er sich ihre Akte vor. Sie war eine 'Lopez'. Ihre Noten waren durchschnittlich, aber ihre Idee war schon genial. Sorgfältig löste er den Bogen mit der Skizze aus der Schreibtischunterlage, faltete ihn zusammen und verstaute ihn in der Schublade.

Die nächsten zwei Kandidatinnen am Vormittag kamen weder an die Kovacs'sche Demut noch an die Lopez'sche Genialität heran. Nur am Nachmittag, kurz vor Schluss, kam noch eine, mit der er sich auseinandersetzen musste. Sie hatte die besten Noten, aber keine blonden Haare und auch keine eigenen Ideen. Ihre Figur war fraulich und an den Füssen trug sie eine Art Turnschuhe mit Gummisohle. Es war genau die Sorte Schuhe, die er als Kind immer so gerne getragen hatte.
Ihre Oberweite war nicht sensationell, aber immerhin war er sich sicher, dass dort zwei große Orangen wohl separiert voneinander auf Männerhände warteten. Demütig war sie leider nicht. Sie senkte nicht den Blick, als er in ihre Augen schaute. Er schaute auf ihre Mappe. Alle Noten waren sehr gut.
"Ja, also. Sie wissen, dass wir bei gleicher Qualifikation Bewerber mit Migrationshintergrund bevorzugen müssen."
"Wer ist es?"
"Es geht hier nicht so sehr um die Noten, sondern auch um andere Eigenschaften. Aber ihre Bewerbung kommt schon in die engere Wahl. Wir melden uns dann"
Ja, sagte er sich, als er ihr auf dem Weg zur Tür hinterher sah. Sie sah sich nur kurz um. Er lächelte zum Abschied, sie nicht.

Nach dem Abendessen, es gab Rinderroulade mit Kartoffelbrei und Speckbohnen, legte er die drei Bewerbungsmappen auf den Tisch.
"Wieder nur Frauen. Junge, was arbeitest Du nur?" fragte seine Mutter.
"Ja, aber. Biologie studieren eben hauptsächlich Frauen. Und Postdok bis zur Heirat oder so machen Männer nicht. Gerade nicht in unserem Institut."
"Du wirst mir doch nicht etwa? Obwohl? Ist eine dabei?"
"Ein feines ukrainisches Mädchen ist schon dabei. Schau mal."
"Das ist ja eine Hübsche. Aber die anderen sind auch nicht schlecht. Obwohl die mit der Brille. Das ist eine Deutsche. Eine solide. Nimm doch diese."
"Ja" meinte er demütig.

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