Freitag, 23. September 2016

Schmerzlos

"Also ich könnte das ja nicht aushalten, so immer leiden. Bei mir wäre da ja nun Schluss. So richtig Schluss. Kurz und schmerzlos. Zack. So wie beim Wachsen. Ratsch, Au und dann ist gut" kommentiere Tanja die Leiden von Eleni.
"Du hast gut reden. Der Werner ist so ein Lieber, den kann ich doch einfach nicht verlassen. Und er hat ja auch Recht. Wenn ich mich nebenher vergnüge, dann darf er das auch. Stell Dir vor, der schämt sich nun richtig, dass er da eine Bumsgöttin aufgetan hat."
"Das ist doch nur ein Spiel von dem. Der will Dich ..."
"Gar nicht. So denkt der doch nicht. Der kommt von ihr und ist einfach nur glücklich geschafft. Und dann gibt er gibt sich noch alle Mühe und tut so, als wenn er scharf auf mich wäre. Und ich sehe ihm das doch an, dass er nur ausruhen will. Ich tu dann so als hätte ich keine Lust."
"Du musst doch mal anfangen, in erster Linie an Dich selbst zu denken. Forder ihn doch noch einmal. Dann wird er sich schon entscheiden. Es gibt immer eine Möglichkeit das Leben einfach zu gestalten. Bei uns ist das so, dass wir unsere Nebensachen verheimlichen. Zwar hat jeder die Möglichkeit, aber es wird einfach nur vertraut und nicht nachgefragt. Wenn es anders wäre, würde ich kurz und schmerzlos Schluss machen. So mit den großen Gefühlen, wie bei Euch, ist das bei uns gar nicht. Bei uns hat einen Rhythmus, der einfach eingehalten wird. Jeder hat seine Abende. Was da läuft oder laufen könnte, da reden wir nicht drüber. Und das ist gut so."
Tanja nickte dazu, ballte ihre Faust und klopfte damit leicht auf den Tisch.
"Da können wir nun nicht zurück." stimmte Eleni ihr zu. "Wir hatten das damals so ausgemacht. Sich gegenseitig immer zuhören, beichten und verzeihen. Er hat mir immer verziehen. Es hatte ihn eher angemacht. Und als er dann anfing auch ... " Eleni kniff ihre Lippen zusammen und öffnete ihre Rehaugen. "Hat er mir das nur vorgespielt? Oder bin ich so schlimm, das ich eifersüchtig bin?"
"Du bist doch die, zu der er zurückkehrt. Oder etwa nicht?"
"Das hat am Anfang auch funktioniert. Mein Werner kann die und die haben, aber er wird mich nie ... und nun ist da diese Bumsgöttin. Sie ist eine fette Bauchtänzerin. Das ist nicht so eine ..." Eleni unterdrückte ein Schluchzen.
Tanja nahm sie in den Arm. "Ach, das schaffen wir schon. Hauptsache wir Mädels halten zusammen."

Sonntag, 18. September 2016

Heimat

Langsam packte sie ihr Köfferchen. Sie war, wie immer, wenn etwas Wichtiges anstand, viel zu früh. Zunächst machte sie den Kulturbeutel fertig. Sie füllte ihn mit allem, was die Toilette hergab, dann entfernte sie die Haarpflegeartikel und die Seifen und Deos wieder. Es war nur noch die Zahnbürste, -seide und -pasta drinnen. Der Kulturbeutel wanderte neben den Koffer. Er sollte ja als erster entnommen werden können. Warum hatte sie überhaupt damit angefangen? Ihre Lippen pressten sich zusammen und zwischen ihren Augenbrauen war wieder diese Falte. Sie füllte das Köfferchen mit Nacht- und Unterwäsche. Dazu legte sie eine Jeans und zum Schluss den Kulturbeutel. Sie konnte das Köfferchen tragen. Das war gut. Auf dem Weg müsste sie den Rathausplatz überqueren und bei den Pflastersteinen würden die Rollen des Köfferchens nicht mitmachen.
An der Wohnungstür blieb sie dann doch stehen. Ihr Einkaufsroller stand in der Ecke. Diesen konnte sie über die Pflastersteine ziehen. Bot er genug Platz für ihre Sachen? Schnell räumte sie um und es passte alles herein, nur der dünne Kulturbeutel blieb übrig. Für diesen hatte sie ja noch ihre geräumige Handtasche. Das war auch für den Rückweg besser. Erleichtert ging sie zur Wohnungstür.
An der Garderobe galt es eine Jacke auszuwählen. Zwar das Wetter an diesem Tag im September noch recht warm, aber wie würde es in ein paar Wochen sein. Ihr Anorak war für solch ein Übergangswetter gedacht. Der könnte aber verloren gehen. Im Schrank hatte sie noch eine alte Trainingsjacke. Ob die noch passen würde?
Wenig später war sie in die gelbe Oberjacke eine altertümlichen Trainingsanzugs vor dem Spiegel. Der Reißverschluss ließ sich ganz nach oben ziehen. Sie hatte gar nicht groß zugenommen. Oder war der damals einfach zu groß gewesen?

Freitag, 9. September 2016

Perfekt

Er prüfte seine Krawatte im Spiegel. Ihre blassrote Farbe betonte die kühle Bläue des Hemds. An dem Tag war der unangemeldete Besuch bei einem eventuellen Kunden angesagt. Ging sein verdammter Blutdruck wieder hoch? Kurz schüttelte er den Kopf. Dann trat er vom Spiegel zurück. Jedes Detail musste stimmen. Es galt ja immer noch, dass der erste Eindruck des Verkäufers zählt, oder etwa nicht? Wieder schaute er im Spiegel sein rotes Gesicht an. So ging das gar nicht! Gerade bei der Kaltakquise galt es Optimismus, Sicherheit und Kompetenz auszustrahlen und nicht wie ein schüchterner Schuljunge zu erscheinen. Das rote Gesicht galt es zu verstecken!
Es wäre doch gelacht, wenn ihm dazu nichts einfiele. Nur, was?
Ihm fiel das ganz rote Hemd von der Sozifeier ein. Schnell schlüpfte er aus dem blassen Blau und in das kräftige Rot. Als er sah, wie gut die Farbe der Krawatte dazu passte, grinste er. Bei dem Wetter konnte er ganz ohne Anzug gehen. Er beschloss einfach unten in blauen Jeans und oben im roten Hemd zu gehen. So konnte er als ein Ingenieur gehen, der eben mit Sachkenntnis berät.
Lachend betrachtete er seinen mutigen Aufzug im Spiegel und machte sich auf den Weg.

Freitag, 2. September 2016

Für immer

Es gab auch eine Vorführung, die Verena interessierte. Sie wusste nicht genau, warum sie auf dieser Geburtstagsfeier war. Ein wilder, halb nackter Mann jonglierte mit Kegeln zu Ehren des Jubilars. Seine unbehaarte Brust hielt er ganz ruhig. Nur seine Arme wirbelten die Kegel durch die Luft. Breitbeinig stand er mit gebeugten Knien und erzählte mit ruhiger, tiefer Stimme Anekdoten aus dem Leben des Befeierten. Von dem Gelächter der Gäste ließ er sich in seiner Konzentration nicht stören.
Verena nippte an ihrem Prosecco und genoss den Anblick dieses Prachtexemplars männlicher Körperlichkeit und schloss sich gelegentlich dem Gelächter an. Als später die Tafel aufgehoben wurde und es hieß sich irgendwie die Zeit bis zur Heimfahrt zu vertreiben, entdeckte Verena diesen, mittlerweile mit einem langen, weißen Baumwollhemd bekleideten, Mann an einem Stehtisch. Er war umringt von einigen Bewunderinnen. Der Abend versprach unterhaltsam zu werden. Sie ging dazu.