Sonntag, 12. März 2017

Der Rucksack

Seine Knie wippten auf und ab. Seine Hände lagen auf seinen Oberschenkel, die sich im Takt seiner Füsse hoben und senkten. Die Sohlen der Arbeitsschuhe waren nach oben gebogen und so konnten sie sich leicht vor und zurück gerollt. So war kein Zucken, sondern ein gemütliches, nachdenkliches Rollen, das die Knie hob, wenn die Schuhspitze dem Boden berührte, und senkte, wenn die Ferse der Schuhe am Boden war. Er hatte ja noch etwas zu erledigen und konnte sich noch nicht mit übereinander gelegten Füssen entspannen. An diesem Nachmittag war er ein wenig früher unterwegs. Neben ihm lag ein schwarzer Rucksack, den er immer mal wieder anschaute. Dann ruhten seine Füsse. Wenn er zum Rucksack schaute, schluckte er. Deutlich wanderte der Adamsapfel nach oben und nach unten.
Es musste einfach klappen!
Noch zwei Stationen waren zurück zulegen, als sein Handy klingelte oder besser Töne von sich gab. Es klang wie Signale aus einen Sience Fiction Film. In unterschiedlichen Höhen erklang etwas, das sich wie "Diiiiiiiiiing" anhörte. Nach dem dritten "Diiiiiiiiiiiiiii" ging er ran.
"Ja", knurrte er. Es war Maxi. Wieder wanderte sein Adamsapfel nach oben und unten. "Ich bin heute ein wenig später. Aber dann, wenn", sagte er. Sie unterbrach ihn und er lauschte.
"Hör nur. Ich muss da nur etwas abgeben und dann", an dieser Stelle sah er sich im Waggon um. Etwas leiser erklärte er: "Das machen andere doch auch und immer nur mit Arbeit ..", weiter kam er nicht. Am anderen Ende regte sich wohl Widerspruch. Jedenfalls pressten sich seine Lippen aufeinander. Eine senkrechte Falte formte sich zwischen seinen Augenbrauen, während sein Adamsapfel nach oben und unten wanderte.
"Ich versuch das mal und heute komm ich dann eben später!", sagte er entschlossen und drückte auf die rote Fläche auf dem Handydisplay.

Als der Zug in den Hauptbahnhof einfuhr, erhob er sich. Langsam und vorsichtig nahm er den schwarzen Rucksack vom Nebensitz. Er war nicht besonders schwer, aber dafür richtig groß. Was da wohl drin sein mochte? Der Verschluss war mit einem Papier überklebt. Der Kurier sollte wohl nicht auf die Idee kommen einmal nachzusehen.
Über der linken Schulter hing der Rucksack auf seinem Rücken, als er auf der rechten Schulter angetippt wurde. Verdutzt drehte er sich um. Es war recht langer, junger Mann, den er nicht sofort erkannte.
"Überraschung", sagte dieser.
"Was ..."
"Kennst Du mich nicht mehr? Sag bloß", sein Gegenüber trat einen Schritt zurück und wartete.
"Nein, nicht direkt"
"Denk doch mal nach", der lange Lulatsch grinste. Roland versuchte sich zu erinnern, woher er den denn kennen könnte.
"Über Maxi? Bei ihrem Geburtstag, da waren ..."
"Siehst Du. Genau. Bei der Maxi. Das war ja ein Fest. Wir haben uns damals nur so von weitem gesehen, aber ich habe dich sofort erkannt. Ich bin der Raimund und Du?"
"Roland", er griff die ausgestreckte Hand. Die beiden schüttelten sich die Hände, dann gaben sie sich noch fist bumps, so wie es richtige Gangster tun.
"Du schaffts nebenher auch als Kurier?"
"Ja, genau. Aber ...", ihm fiel ein, dass er das ja niemanden von dem Auftrag erzählen durfte.
"Darfst keinem erzählen, nicht wahr?"
"Genau"
"So was mache ich auch", der lange Kerl beugte sich herunter und sagte dann ganz leise: "Nicht einmal Maxi habe ich davon erzählt."
"Oh"
"Sag bloß Du hast Maxi erzählt?"
"Nur so grob, so ungefähr."
"Das ist gut, wenn der ... na wie heißt der noch". Raimund fuchtelte mit seiner Hand auf und nieder.
"Giuseppe"
"Ja, genau der alte Giuseppe, dieser Itaker davon erfährt, dann hast Du die Kacke am Dampfen. Aber so richtig."
"So alt ist der aber doch ..."
"Sein Sohn heißt auch Giuseppe. Ich bin vom Alten hergeschickt worden. Einen schwarzen Rucksack soll ich hier abholen. Dann kommen wir ja zusammen, oder?"
Roland nickte. Es war gut zusammen zu warten, so verging die Zeit schneller. Aber Raimund wollte gar nicht warten.
"Na gib schon her. Dann bekomme ich direkt die Bahn, sonst muss ich doch noch eine halbe Stunde warten. Wäre doch für alle besser", schlug er vor und griff den Rucksack an der Schlaufe.
Roland zögerte kurz.
"Sag Giusi einfach, dass Raimund den Rucksack schon mitgenommen hat. Das passt schon."

"Den Rucksack habe ich schon Raimund gegeben"
"Welchen Raimund?"
"Der sollte den doch für deinen Vater abholen?"
Die beiden Männer schauten verblüfft.
"Dein Vater, der alte Giuseppe, hat ihn geschickt. Und ich habe ihm dann den ..."
"Mein Vater heißt Pietro. Wer hat Dir denn was genau erzählt?"
Roland erzählte.
Die beiden Männer lachten laut.
"Wie gut, dass da nichts drin war.", meinte der rundliche Mann.
"Aber es hätte ja etwas drin sein können", wandte Giuseppe ein.
"Genau!"
Roland schluckte.
"Was machen wir?"
"Wir wissen doch, wo er wohnt und er hat ja auch ein wenig Geld", meinte der Dicke.
"Dreihundert. Dreimal. Immer am dritten des Monats. Wir schicken Dir einen vorbei.", sagte Giuseppe und legte seine Hand auf Rolands Schulter.
Diese schüttelte den Kopf. 
"Das könnt ihr nicht machen. Ich habe ..."
"... einen Fehler gemacht. Bist hereingefallen auf eine ganz alte und gemeine Masche. Wenn Du gut bist lernst Du daraus. Dann holst Du Dir so die dreihundert, oder auch mehr, von anderen Deppen holen. Die neunhundert sind sozusagen Dein Lehrgeld. Du kannst ja noch lernen, was passiert, wenn Du nicht zahlst. Aber das willst Du doch nicht, oder?", Giuseppe lächelte richtig freundlich.
Roland schluckte.

An dem Abend ging er ganz langsam nach Hause. Die Absätze seiner Schuhe schliffen auf dem Boden. Den Blick hatte er gesenkt. Auf Maxi freute er sich gar nicht so richtig. Es war ja einer von ihren Freunden, der ihm den Rucksack abgenommen hatte. Bestimmt würden sie über ihn lachen. Und nun hatte er noch diesen Ärger. Am Besten war es wohl so zu tun, als wenn alles in Ordnung wäre. Nur das mit der Kohle wollte dann ja nicht funktionieren. Da müsste er dann etwas erfinden. Dreihundert die nächsten drei Monate. Irgendeine Geschichte musste ihm einfallen. 

Ihm fiel keine Geschichte ein. 
"Da war kein langer, dünner Raimund auf meinem Geburtstag. Ich kenne keinen Raimund."
"Aber der sagte doch, er würde Dich kennen"




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